Ausstellung im Kunstraum Gerdi Gutperle in Viernheim vom 07. Mai bis 12. August 2012
Die Freude der Veranstalter am Eröffnungstag war besonders groß, denn wenn man die vielen begeisterten Einzelstimmen der Besucher zu einem Chor vereinigt hätte, dann wäre ein kräftiger Lobgesang über die Werke der ausstellenden Künstlerinnen und ebenso über die Ästhetik der Präsentation erklungen. Grund genug, um Ihnen ebenfalls den Besuch des Kunstraumes ans Herz zu legen.
Solisten dieser bemerkenswerten Ausstellung im 5. und damit einem Jubiläumsjahr des Kunstraumes sind die schwäbische Künstlerin Jutta Hass und Gerdi Gutperle selbst. Die eleganten raumgreifenden Skulpturen, Objekte und Installationen von Jutta Hass repräsentieren den Begriff „Volumen“ des Titels. „Transparenz“ steht für die farbstarken, expressiven Glasbilder von Gerdi Gutperle, in denen sie, durch die Eigenschaften des Materials neue gestalterische Möglichkeiten entdeckt hat.
Bereits im Foyer führt die Skulptur „Begegnung“ zu einer wichtigen Werkgruppe von Jutta Hass: der Teil eines Lebensbaumes, bestehend aus einer glatten und einer dornigen Hälfte, spaltet sich auf. Am Ende sehen wir den Kopf einer jungen Frau, konfrontiert mit einem Totenkopf. Sofort drängen sich, von der Künstlerin gewollt, Gedanken auf an die Begrenztheit unseres Daseins, Tod und Leben, Körper und Seele, Existenzkampf. Jutta Hass greift die großen Themen menschlicher Existenz auf, die schon immer Menschen bewegt haben und deshalb auch in der Kunstgeschichte durch alle Kunstepochen hindurch einen bedeutenden Platz einnehmen.
Wenn die Künstlerin dieser Werkgruppe besondere Aufmerksamkeit widmet, dann unterscheidet sie sich von allen, die aus der Geschichte, Literatur und Kunst Anregungen dafür erhielten. Jutta Hass hat tiefgreifende Schicksalsschläge erfahren, die sie zu folgender Haltung motivierten: „Meine Werke sind ein Bekenntnis zur Vergänglichkeit menschlichen Lebens […] Das Bewusstsein des unwiederbringlichen Augenblicks sollte zu lebensbejahender Konsequenz führen, ermutigen und aktivieren.“
Um als Künstler seine Gedanken in ein Kunstwerk einzubringen, muss er die gestalterischen Mittel wählen, die diese Absicht und davon ausgehend die Kommunikation mit dem Betrachter ermöglichen. Hier kann Jutta Hass aus dem Vollen schöpfen, denn sie ist durch ihren außergewöhnlichen Entwicklungsweg eine profunde Kennerin des Materials geworden. Zunächst verdiente ihren Lebensunterhalt in der keramischen Industrie und Handwerksbetrieben, entwickelte Glasuren, baute Brennöfen und keramische Architekturelemente. Auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten vertrauend, entschloss sie sich 1998 zur Existenz als freischaffende Künstlerin. Mit schamottierter Tonmasse, Paperclay und Fiberclay, verleiht sie ihren Inspirationen Gestalt. Für die Tiefe ihrer Gedanken findet sie sinnbildhafte Entsprechungen in der Konfrontation von Form und Oberfläche ihrer Skulpturen und Objekte. Die klug durchdachten disziplinierten, oft aus mathematischen Grundformen heraus entwickelten Skulpturen sind mit einer Haut versehen, die Glätte und Verletzungen, Ebenen und Rinnsale, Ordnung und Chaos spüren lassen.
Eine andere Werkgruppe von Jutta Hass führt uns in ferne Länder. So fand sie in der roten, trockenen und rissigen Tonplatte von wenigen Quadratzentimetern das Sinnbild für einen ganzen Kontinent: Australien.
Die anregenden und ästhetisch überzeugenden Werke der schwäbischen Künstlerin werden in diesem Umfang erstmalig der Öffentlichkeit gezeigt. Das gilt auch für die Glasbilder von Gerdi Gutperle, die bisher in ihrer Gesamtheit noch nicht im Kunstraum präsentiert wurden.
Gerdi Gutperle entdeckte mit ihrer Experimentierfreude in dem Material Glas ein Medium, durch das sie die Wirkung ihrer Farben noch verstärken kann, d.h. diese erscheinen tiefer und satter. Mit der von ihr favorisierten Mischtechnik hinter Glas eröffnet sie geradezu ein Feuerwerk expressiver Farbigkeit und gewinnt durch die Transparenz des Glases neue Freiräume im Umgang mit dem Licht. Und auch dieser erreichte Stand genügte der Künstlerin nicht. Sie entwickelte beleuchtete Bildkörper, die sich dimmen lassen und damit sogar dem Benutzer bisher nicht gekannte Gestaltungsräume eröffnen.
Der in der Ausstellung präsentierte Bestand an Glasbildern zeigt die tiefe Liebe und Achtung Gerdi Gutperles vor der Vielfalt und Schönheit der Natur. Ihr Repertoire von Darstellungsmöglichkeiten vom liebenswürdig Abbildhaften bis zu reduzierten Formen und Abstraktionen wird in dieser Ausstellung allein an einem Werkkomplex lebendig. Letztlich schließt sich dann der Gedankenkreis beider Künstlerinnen. Wenn Gerdi Gutperle mit ihren Werken auf die Schönheit und Verletzbarkeit der Natur verweist, dann fordert sie mit dem Bewusstsein um die Vergänglichkeit, Achtsamkeit und das den Kunstraum krönende „Augen auf“ an.
Dr. Christina Knapp